20130311

[quoth] roland barthes: das reich der zeichen (l'empire des signes, 1970)

So gründet die japanische Nahrung in einem System zurückgenommener Stofflichkeit (vom Klaren zum Teilbaren), in einem Beben des Signifikanten: Darin bestehen die elementaren Merkmale der Schrift, die auf einer Art Vibrieren der Sprache basiert, und so erscheint auch die japanische Nahrung: als eine geschriebene Nahrung, die sich den Teilungs- und Wegnahmegebärden verdankt, welche die Speise nicht auf der Tischfläche einschreiben [...], sondern in einem tief gestaffelten Raum, der in Abstufungen den Menschen, den Tisch und das Universum darbietet. Denn die Schrift ist genau jener Akt, welcher in derselben Arbeit vereint, was sich im ebenen Darstellungsraum allein nicht zusammenbringen ließe. [...]

Es besteht eine Konvergenz von Kleinheit und Eßbarkeit: Die Dinge sind klein nur, um gegessen zu werden; aber sie sind auch eßbar, damit sie ihr Wesen verwirklichen, und dies Wesen ist die Kleinheit. Der Einklang zwischen der östlichen Nahrung und dem Stäbchen kann nicht bloß funktioneller, instrumenteller Natur sein. Die Lebensmittel werden in kleine Stücke geschnitten, damit man sie mit den Stäbchen fassen kann; aber die Stäbchen sind auch deshalb da, weil die Lebensmittel in kleine Stücke geschnitten sind. Ein und dieselbe Bewegung, ein und dieselbe Form transzendieren hier den Stoff und dessen Werkzeug: die Zerteilung.
Die Stäbchen haben weit mehr Funktionen als jene, die Nahrung vom Teller zum Munde zu führen (ja, diese Funktion ist nicht einmal charakteristisch, denn dieselbe Aufgabe erfüllen auch Finger und Gabeln), und diese weiteren Funktionen sind ihnen eigentümlich. Zunächst einmal haben die Stäbchen--ihre Form sagt dies bereits zur Genüge--eine deiktische Funktion: Sie zeigen die Nahrung, bezeichnen das Stück und verleihen--durch die Auswahlgeste schlechthin, d.h. durch den Index--Existenz. Statt daß die Nahrungsaufnahme zu einer mechanischen Abfolge geriete, bei der man sich darauf beschränkte, die Bestandteile eines Gerichtes hinunterzuschlingen, bezeichnen die Stäbchen, was sie auswählen (wählen für den Augenblick dies und nicht das), und führen damit in den Nahrungsgebrauch zwar keine Ordnung, wohl aber Phantasie und so etwas wie Muße ein: in jedem Falle eine Tätigkeit, die nicht mehr mechanisch, sondern intelligent ist. Eine weitere Funktion des Stäbchenpaares liegt darin, das Stück Speise einzuklemmen (und nicht mehr fortzureißen, wie es unsere Gabeln tun) [...] In der Gebärde des Stäbchens, die durch dessen Material, Holz oder Lack, noch weiter gemildert wird, liegt etwas Mütterliches, die wohlbemessene Behutsamkeit, mit der man ein Kind aufnimmt; eine Kraft (im operativen Sinne des Wortes), kein Trieb. Darin liegt ein ganzes Verhalten gegenüber der Nahrung. Deutlich sieht man dies an den langen Stäbchen des Kochs, die nicht zum Essen dienen, sondern der Vorbereitung der Nahrungsmittel: niemals sticht, schneidet, spaltet, verletzt das Stäbchen, es hebt nur auf, es wendet und bewegt. Denn zum Zweck des Zerteilens (dritte Funktion) trennt, zergliedert und schnitzelt das Stäbchen, statt zu schneiden und zu reißen, wie es unser Besteck tut; es verletzt die Lebensmittel nicht: entweder entwirrt es sie vorsichtig (wie es bei Kräutern geschieht), oder es löst sie in ihre Bestandteile auf (wie man es mit Fisch und Aal macht), indem es nach den natürlichen Spalten des Stoffes sucht (darin dem bloßen Finger weit ähnlicher als dem Messer). Endlich--und das ist vielleicht seine schönste Funktion--führt das Stäbchenpaar die Nahrung: entweder gleitet es, wie zwei Hände gekreuzt, als Stütze und nicht mehr als Zange unter die Reisflocke und reicht sie, hebt sie zum Munde des Essers, oder es lässt den Nahrungsschnee (in einer dem ganzen Fernen Osten seit Jahrtausenden eigenen Gebärde) von der Schale zu den Lippen gleiten, etwa in der Art einer Schaufel. In all diesen Verwendungsweisen, in all den Gebärden, die sie mit sich bringen, stellt sich das Stäbchen im Gegensatz zu unserem Messer (und seinem räuberischen Ersatz, der Gabel): Das Stäbchen ist das Eßinstrument, das sich weigert zu schneiden, zu reißen, zu verstümmeln und zu stechen (sämtlich höchst begrenzte Gebärden, die in den Bereich der Zubereitung, in die Küche zurückgedrängt sind: Der Fischkoch, der den lebenden Aal vor unseren Augen enthäutet, exorziert in einem vorgängigen Opfer ein für allemal den Tod der Nahrung). Mit den Stäbchen ist die Nahrung nicht länger Beute, der man Gewalt antut (Fleisch, auf das man sich wild stürzt), sondern eine harmonisch verwandelte Substanz. Sie verwandeln den im Voraus zerteilten Stoff in Vogelfutter und den Reis in einen Milchstrom, mütterlich vollführen sie unermüdlich die Gebärde des Fütterns und überlassen unseren mit Messer und Gabel bewehrten Eßsitten die Gebärde des Beutemachens.

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