Der Schleier oder etwas, das bindet, einwickelt, schnürt, ein Band, ein Wickel, eine Binde, ist der letzte Gegenstand, den wir in Griechenland antreffen. Jenseits des Schleiers befindet sich nichts mehr. Der Schleier ist das andere. Er ist die Mitteilung, daß das Bestehende allein nicht standhält, daß es zumindest immer danach verlangt, bedeckt und entdeckt zu werden, zu erscheinen und zu verschwinden. Was man vollzieht—die Einweihung oder die Hochzeit oder das Opfer—, verlangt nach einem Schleier, eben weil das, was sich da vollzieht, das Vollkommene ist, das für das Ganze steht, und das Ganze schließt den Schleier in sich, diesen Überschuß, der den Wohlgeruch der Sache ausmacht.
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Es ist aber auch das alte Griechenland, wo der Schleier erstmals die Trauernden schützend umhüllt, ihre Köpfe oder auch nur ihre Gesichter bedeckt. Er verteidigt die Trauer und die Scham vor den Gaffern, die im und vor dem Bild einen Blick auf die verzehrten Gesichter zu erhaschen hoffen. Vor allem ist es aber der Schleier, der hier erstmals als Pathosformel an die Stelle der Trauer selbst tritt, der zunächst ein malerischer und bildhauerischer Kunstgriff bleibt, bis er das Zeichen der Kapitulation und der Ehrfurcht vor jenem Gefühl markiert, das bisher noch kein Künstler in seiner vollen Kraft im Bild zu bannen wusste. Die Leerstelle birgt den Horror vacui im doppelten Sinne – hier ist es das verschleierte Gesicht, das uns nicht gezeigt wird, das Furcht und Trauer erzeugt.
Oh, du ehrst mich noch immer mit einem Besuch. Meine Hände fallen wie ein Schleier, ein Vorhang gar über mein Gesicht, eine nicht unerhebliche Röte zu verbergen. Durch einen winzigen Spalt landet mein Blick auf "Horror vacui" und ich enteile, die Ursprünge dieses mir schändlicherweise bisher unbekannten Terminus zu ergründen.
Apropos Vakuum, ich fand gerade eine interessante Textstelle aus Byung-Chul Hans Buch "Abwesen", die ich, möglicherweise etwas aus dem Zusammenhang gerissen, an dieser Stelle zitiert wissen möchte:
"Mit dem Abwesen habe ich gemeint, etwas, was sich zurücknimmt, zurückweicht, abtritt. Und nach dem Abtreten und nach dem Zurückweichen entsteht nicht ein Vakuum, sondern mehr Raum, mehr Zeit, mehr Welt, weil diese Präsenz des Ich den Raum verdrängt hat und mit sich besetzt hat. Und wenn dieses Ich, wenn diese Substanz, zurückweicht in eine Abwesenheit, dann entsteht eine Weite, eine Weite der Welt, eine Weite des Raumes. Ich wollte diese Weite aufzeichnen."
Verwunderte es dich, wenn ich dir schriebe, daß diese Notizen längst zu meinen persönlichen Fixpunkten in den Weiten des Webs geworden sind? So liegt die Ehre doch auf meiner Seite.
Den Horror vacui muss man nicht kennen; ich bin mir sicher, daß es stets vorzuziehen ist, ihn nicht zu kennen. Alles gut.
Das Zitat ist gut ausgewählt, danke. Verzeih mir, daß ich gerade so kurz angebunden bin, aber ich möchte dich in diesem Zusammenhang auf eine etwas ältere Ausstellung und den dazugehörigen Katalog im Bozener Museum ar/ge hinweisen: »Entropie: Über das Verschwinden des Werkes«. Gern sende ich dir bei Interesse Scans oder Zitate zu, schreib mir einfach eine Mail. Außerdem gab es einige Jahre später im Guggenheim Museum die Schau »Contemplating the void: Interventions in the Guggenheim Museum«. Vielleicht ist auch das inspirierend.
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