Bis auf den heutigen Tag ist einer der stärksten und spontansten Impulse der Japaner, sich zu verbergen, verhüllt zu bleiben und nicht nur alle Gedanken und Handlungen, sondern die ganze Person in eine wolkenhafte Undurchdringlichkeit zu tauchen. Nicht nur ihre Staatsweisheit lehrt, daß wirksame Herrschaft "hinter dem Vorhang" ausgeübt werden muß und der Machthaber unsichtbar bleiben sollte. Von allen chinesischen Lehren ist seit je den Japanern keine teurer gewesen als Laotses Lob des "gedämpften Glanzes, staubbedeckt" (Wako-dojin). [...] Es ist japanischer Stil, in der Prosa wie in der Dichtung mehr anzudeuten als auszusagen, mehr zu verschweigen als auszudrücken. [...] In jeder Geste des schlichten Alltags, im Stil der Unterhaltung, in der vorgeschriebenen Form, die eine Gabe erst zum Geschenk macht, erscheint es als dringendstes Bedürfnis, die rechte Weise zu finden, wie Dinge, Gedanken, Gefühle einzuhüllen sind. Wo immer der Alltag nicht von diesem ungeschriebenen Gesetz der Gesetze regiert wird, gerät das Verhalten leicht in Gefahr, ins Willkürliche und Unbeholfene, wenn nicht gar ins Unziemliche, Rohe und Abstoßende abzugleiten. Es ist, als ob dieses Volk, nicht zufrieden damit, in einem vielgebirgigen Inselreich zu wohnen, inmitten einer Unzahl von abgeschlossenen Tälern und Buchten, die ein natürliches Gitterwerk bilden und oft genug durch Wolken, Nebel und Regenwände der vollen Sichtbarkeit entzogen werden -- es ist, als ob dieses Volk von Anbeginn versucht hätte, in seiner gesellschaftlichen und kulturellen Lebensform und in seiner Haltung ein gesteigertes Bild seiner natürlichen Umgebung nachzuschaffen. Wohin sie auch gehen und was immer sie tun, die Japaner nehmen ein Gitterwerk von Wänden, Zäunen, Netzen, Nebelwolken mit sich: Dies ist wohl der tiefere Sinn ihres Festhaltens an Zeremonie und Tabu. [...] Haben wir es mit einer natürlichen Reaktion asiatischer Völker auf einer späteren Entwicklungsstufe zu tun, wo unter dem Druck fortlebender, doch nicht mehr alleingültiger Bindungen an das Kollektiv im einzelnen Menschen ein triebhaftes Verlangen nach Einsamkeit, Zurückgezogenheit, Ungreifbarkeit erwachsen ist? Sind vielleicht die Menschen des Ostens [...] der Weisheit der Natur näher, die nach einem Wort des jungen Nietzsche jedes Lebewesen mit einer Schutzhülle von Dunkelheit umgibt, ohne die es nicht wachsen und gedeihen kann? In gleißendem Licht entsteht kein Leben. Diese Lehre haben die fortgeschrittensten Nationen des Westens noch immer zu lernen oder wiederzulernen.
Subscribe to:
Posts (Atom)