20100708

[quoth] antonin artaud: nervenwaage (le pèse-nerfs, 1925)

Man muß begreifen, daß jeder Verstand nur eine unermeßliche Möglichkeit ist, und daß man ihn verlieren kann, durchaus nicht wie ein Geisteskranker, der tot ist, sondern wie ein Lebender, der im Leben steht und fühlt, daß die Anziehungskraft und der Atem (des Verstandes, nicht des Lebens) auf ihm ruht. Die Kitzel des Verstandes und diese plötzliche Umkehrung der Teile. Die Worte, halben Wegs zum Verstand. Diese Möglichkeit, rückwärts zu denken und plötzlich das eigene Denken zu schmähen. Dieser Dialog im Denken. Die Absorption, der Bruch mit allem. Und plötzlich, dieses Wassergerinnsel auf einen Vulkan, der dünne und verlangsamte Sturz des Geistes.
Il faut que l’on comprenne que toute l’intelligence n’est qu’une vaste éventualité, et que l’on peut la perdre, non pas comme l’aliéné qui est mort, mais comme un vivant qui est dans la vie et qui en sent sur lui l’attraction et le souffle (de l’intelligence, pas de la vie). Les titillations de l’intelligence et ce brusque renversement des parties. Les mots à mi-chemin de l’intelligence. Cette possibilité de penser en arrière et d’invectiver tout à coup sa pensée. Ce dialogue dans la pensée. L’absorption, la rupture de tout. Et tout à coup ce filet d’eau sur un volcan, la chute mince et ralentie de l’esprit. (via)

1 comment:

A.C. said...

RE:

"In unserer Naivität haben wir uns vielleicht vorgestellt, einen psychologischen Typ beschrieben zu haben, den Irren durch hundertfünfzig Jahre seiner Geschichte hindurch. Jedoch müssen wir feststellen, daß wir bei der Abfassung der Geschichte des Irren, wenn auch nicht auf der Ebene einer Chronologie der Entdeckungen oder einer Ideengeschichte, sondern indem wir der Verkettung der fundamentalen Strukturen der Erfahrungen folgten, die Geschichte dessen geschrieben haben, was das Erscheinen einer Psychologie überhaupt ermöglicht hat. Darunter verstehen wir ein kulturelles Faktum, das der abendländischen Welt seit dem neunzehnten Jahrhundert eigen ist, jenes massive Postulat, das vom modernen Menschen ausgesprochen wird, das aber auf ihn zurückschlägt: Das menschliche Wesen charakterisiert sich nicht durch eine bestimmte Beziehung zur Wahrheit, sondern enthält als ihm eigen eine gleichzeitig dargebotene und verborgene Wahrheit.
Lassen wir der Sprache freien Lauf: der homo psychologicus ist ein Nachfahre des homo mente captus.
Da die Psychologie nur die Sprache der Alienation sprechen kann, ist sie also nur in der Kritik des Menschen möglich oder in der Kritik an sich selbst. Die Psychologie steht immer und von Natur aus an einem Kreuzpunkt der beiden Wegen, wo einerseits die Negativität des Menschen bis zu einem extremen Punkt vertieft wird, an dem Liebe und Tod, Tag und Nacht, zeitlose Wiederholung der Dinge und die Hast der Jahreszeiten, die ihren Lauf nehmen, einander zugehören, und wo schließlich mit Hammerschlägen philosophiert wird; und wo andererseits das Spiel unaufhörlichen Wiederaufnehmens, Zurechtrückens von Subjekt und Objekt, von Innen und Außen, von Gelebtem und Erkanntem sich übt.
Die Psychologie war durch ihren Ursprung notwendig eher das Zweite, wobei sie dies jedoch bestritt. Sie ist unerbittlich Teil der Dialektik des modernen Menschen bei der Auseinandersetzung mit seiner Wahrheit, das heißt, daß sie nie das ausschöpft, was sie auf der Ebene der wirklichen Kenntnisse ist.
In diesen geschwätzigen Verbindungen der Dialektik jedoch bleibt die Unvernunft stumm, und das Vergessen kommt aus der stummen Zerrissenheit des Menschen."

[Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft, Suhrkamp: Frankfurt/Main, 1973, S. 550f.]

preadon!